Ein Artikel aus der "Neuen Züricher Zeitung am Sonntag vom 7.09.2024"
Autor: Albert Steck

Herr Heckman, in den westlichen Gesellschaften leisten wir uns immer teurere Wohlfahrtssysteme, besonders die Altersrenten kosten viel Geld. Sie erforschen die Wirksamkeit von Sozialprogrammen.
Wie gut setzen wir diese Gelder ein? Mit der Alterung der Gesellschaft gewinnt die Wählergruppe der Rentner immer mehr an Gewicht. Dass diese Vorteile für sich erkämpfen, erstaunt daher nicht. Diese Entwicklung ist symptomatisch für die Sozialpolitik generell: Sie wird zunehmend von den partikulären Interessen einzelner Gruppen dominiert. Doch leider verliert die Gesellschaft dadurch das Gemeinwohl mehr und mehr aus den Augen. Sie kennen bestimmt den Ausspruch des früheren US-Präsidenten John F. Kennedy . . .Frage nicht, was dein Land für dich tun kann – frage, was du für dein Land tun kannst. Kennedy plädierte dafür, dass man als Staatsbürger eine breitere Sichtweise einnehmen sollte, welche über die eigenen Interessen hinausgeht. Diese Haltung ist zunehmend am Verschwinden. Das zeigt sich nicht nur bei den Altersrenten. Wir alle wissen, dass unsere Wohlfahrtssysteme nicht nachhaltig finanziert sind. Dennoch wird diese Tatsache in der Politik weitgehend ignoriert.
Worauf führen Sie diesen Mentalitätswandel zurück? Unsere Gesellschaft splittert sich zunehmend in verschiedene Interessengruppen auf, die sich primär als Opfer darstellen wollen. Diese Gruppen bilden eine Klientel des Staates, die zusätzliche Mittel und Umverteilungen für sich reklamiert. Dadurch entwickelt sich ein Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeiten.
Wie meinen Sie das? Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ich habe den Sozialstaat in Dänemark über viele Jahre hinweg erforscht. Dieser zählt zu den großzügigsten und teuersten überhaupt. Wenn man dort allerdings die soziale Mobilität nach Bildungsstufen analysiert, so schneidet das Land nicht besser ab als etwa die USA. Offensichtlich gelingt es trotz den ausgebauten Transferleistungen nicht, die Chancengleichheit im Hinblick auf die weniger qualifizierten Teile der Bevölkerung wesentlich zu verbessern.
Was also schlagen Sie vor, um mehr Chancengleichheit zu erreichen? Wann immer in der Politik ein Problem auftritt, wollen wir es mit Geld lösen. «Wir brauchen mehr Budget», lautet die übliche Forderung. Doch solche Subventionen sind oftmals eine Verschwendung, wenn sie lediglich die Symptome bekämpfen, statt bei den Ursachen anzusetzen. Nehmen wir die Kinderarmut, mit der ich mich intensiv beschäftigt habe: Üblicherweise definieren wir Armut als Mangel an Geld. Doch die Armut der betroffenen Kinder ist oft viel umfassender. Ihnen fehlt es ebenso sehr an einer intakten Familie und einem Umfeld, das ihre Talente fördert.
Dass sich fehlende familiäre Strukturen ungünstig auf das Kind auswirken, leuchtet ein. Ist es aber nicht heikel, wenn sich der Staat in diese privaten Belange einzumischen beginnt? Nein, denn mit der frühkindlichen Förderung erzielt man mit Abstand die größte Wirksamkeit. Dazu gibt es eindrückliche wissenschaftliche Studien: Kinder, die im Alter von drei bis vier Jahren mehr Zuwendung erhalten, meistern ihr späteres Leben deutlich erfolgreicher. Ebenso ist dokumentiert, dass ein dreijähriges Kind, das ein aggressives Verhalten zeigt, als Erwachsener mit einer größeren Wahrscheinlichkeit kriminell wird. Selbst wenn sich die Wirkung von Sozialprogrammen steigern lässt: In den westlichen Kulturen bestehen große Vorbehalte, sobald die Behörden in die familiäre Sphäre eingreifen. Man befürchtet, der Staat könnte die Menschen indoktrinieren. Diese Bedenken kann ich natürlich verstehen: Es gibt in der Geschichte genügend Negativbeispiele aus totalitären Staaten. Allerdings sollte ein solches Programm gerade nicht über den Staat laufen, sondern als Basisarbeit unter gleichgestellten Personen. Sehr erfolgreich ist ein Konzept in den Armensiedlungen von Jamaica: Dort betreuen erfahrene Mütter junge Eltern, um diese in der Erziehungsarbeit zu unterstützen. Die Kontrolle bleibt in der lokalen Nachbarschaft.
Warum sind die familiären Strukturen so wichtig, um die Chancengleichheit in einer Gesellschaft zu verbessern? Weltweit befindet sich die Familie als Institution im Niedergang. Und diese Entwicklung steht am Ursprung ganz vieler sozialer Probleme. Besonders wenn eine Familie stark fragmentiert ist, fehlt es an der elterlichen Zuwendung für die Kinder. Die mütterliche Betreuung ist zu einem knappen und teuren Gut geworden. Die Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt bedeutet zwar eine Errungenschaft. Allerdings hat dies zu einer Kommerzialisierung der Familie geführt – die Preismechanismen gelten jetzt ebenso in diesem Bereich. Dass es aber auch zu den Aufgaben der Familie gehört, unsere zukünftigen Generationen heranzuziehen, ist plötzlich in den Hintergrund gerückt. Diese Arbeit erhält keine Wertschätzung mehr. Sie kritisieren ebenso die Schulsysteme dafür, dass sie zu wenig Gewicht auf die Charakterbildung der Kinder legen. Unsere Schulen sind stark auf die Förderung der intellektuellen Leistung ausgerichtet. Was dabei jedoch vergessen geht, ist das Fundament des Lernens: Kinder verbessern sich, wenn sie Fehler machen können. Dazu benötigen sie ein Grundvertrauen, das sie dank der elterlichen Wärme und Zuneigung aufbauen können. Stattdessen sind heute die sogenannten Helikoptereltern auf dem Vormarsch.
Heißt das, es braucht eine Wiederentdeckung der Mutterrolle?
Wer kennt ein Kind besser als die eigene Mutter. Deshalb sollten wir Mütter sowie Väter darin unterstützen, dass sie sich möglichst gut um ihre Kinder kümmern können. Diese personalisierte Erziehung bildet die beste Basis. Selbstverständlich können daneben auch Kindertagesstätten einen Beitrag leisten. Wir erleben in vielen Ländern eine dramatische Zunahme der psychischen Erkrankungen unter jungen Menschen.
Führen Sie das ebenfalls auf den Niedergang der Familie zurück? Auf jeden Fall. Zwar hat der Anstieg ebenso damit zu tun, dass wir solche Erkrankungen besser diagnostizieren können. Doch die psychische Gesundheit hängt stark von den familiären Bedingungen ab. In einer schwachen Familie ist es viel schwieriger, ein Kind zu unterstützen. Die Familien stehen heute allgemein unter einem größeren Stress. Oft sind beide Eltern erwerbstätig, was die Ressourcen für die Betreuung einschränkt. Die Gesellschaft setzt es als selbstverständlich voraus, dass Eltern ihre Kinder erfolgreich aufziehen. Obwohl es die Allgemeinheit sehr wohl betrifft, wird dies als private Angelegenheit deklariert. Kommt hinzu: Die großen Unterschiede zwischen den verschiedenen Familien verstärken die wachsende Ungleichheit und Polarisierung in der Gesellschaft.
Was bedeutet das nun für den Sozialstaat: Erzielen finanzielle Transfers zu wenig Wirkung, wenn die familiären Strukturen und die gesellschaftlichen Werte nicht stimmen? Tatsächlich bin ich der Meinung, dass ein Umdenken nötig ist. Insbesondere braucht es wieder ein größeres Verantwortungsbewusstsein. Dazu müssen die Regierungen eine stärkere Führungsrolle einnehmen, indem sie die gesellschaftlichen Werte vorgeben. Gleichzeitig müssen auch die Bürgerinnen und Bürger mehr Verantwortung für ihr eigenes Handeln übernehmen.
Sie denken, dieses Pflichtgefühl ist verlorengegangen? Ja, womit wir auf Kennedys Ausspruch zurückkommen: In der Tat beobachte ich die Tendenz, möglichst viele Aufgaben auf den Staat abzuschieben.
Wie lässt sich das ändern? Eine entscheidende Voraussetzung ist, Chancengleichheit herzustellen – insbesondere auf der Stufe der Kinder. Im Gegenzug soll der Staat das meritokratische Prinzip hochhalten. Sprich: Wer sich durch eine besondere Leistung hervortut, soll dafür belohnt werden. Heutige Politiker werben aber kaum für mehr Meritokratie. Leider nein. Stattdessen macht sich zunehmend eine Opferhaltung breit – sowohl auf der linken wie auch auf der rechten politischen Seite. Die Politiker versuchen den Leuten einzureden, dass sie zu kurz kommen im Leben und ungerecht behandelt werden. Ich plädiere für das Gegenteil: Geben wir den Menschen die nötigen Instrumente und Anreize, damit sie ihre Chancen packen können.

Die Aussagen von James Heckman sind widersprüchlich und unscharf. Auch bei ihm - wie bei allen Linken - muss es also letztlich der Staat richten. Und genau da liegt der Fehler! Die traditionelle Familie mit der traditionellen Rollenteilung ist die Lösung! In den allermeisten Fällen sind die Kinder - zumindest in den ersten 3 Jahren - am besten bei der Mutter aufgehoben - eine intakte Familie mit Vaterund Mutter vorausgesetzt!