Die normative Kraft des demographischen Wandels wird unsere Gesellschaft nachhaltig verändern, auch dort, wo es um hohe Qualitätsstandards geht.
Die noch vor Jahren von der Politik gepriesene „Chance“ des demographischen Wandels stellt sich zunehmend als ein kaum zu lösendes nationales Problem dar. In einem Land, das sich über Jahrzehnte nicht um genügend Nachwuchs gekümmert hat und in welchem die Politik stets von der „Chance des demographischen Wandels“ gesprochen hat, herrscht heute in beinahe allen Bereichen der Dienstleistung und Produktion Personalnotstand. An diesen wichtigen Indikator unserer volkswirtschaftlichen Entwicklung werden wir uns gewöhnen müssen. Allzu lange hat sich die Politik einer Folgenabschätzung entzogen und es vorgezogen, demographische Lehrstühle an Universitäten zu schließen.
Inzwischen vergeht kein Tag, an dem nicht ein neuer drastischer Fachkräftemangel einer Branche in den Medien beklagt wird. Sei es bei den Lokomotivführern, den Richtern, Ärzten oder anderen Berufsgruppen.
Schlimm wird es dann, wenn bei grassierendem Fachpersonalmangel eines Berufszweiges zudem noch eine sprunghafte Nachfrage nach Dienstleistung hinzukommt. Dies trifft bei Hebammen, Pflegern, bei Grundschullehrern, wo die Bertelsmann Stiftung davon spricht, dass „die Lage dramatischer ist als gedacht“, aber eben auch bei Erzieherinnen für die Allerkleinsten zu. Schon die Neugeborenen leiden unter einer ungenügenden Betreuung durch Hebammen, die – so die neuesten Nachrichten - inzwischen gleichzeitig drei Neugeborene anstatt nur eines betreuen müssen, so wie dies ein adäquater Betreuungsschlüssel vorsieht. Und bei den unter Dreijährigen (U3) geht der Personalmangel in Form von überforderten Erzieherinnen weiter, was unschwer an Zeitungsmeldungen abzulesen ist, wie: „Kitas im Kreis Bad Kreuznach platzen aus allen Nähten“ (AZ 16.3.2019) oder „Erzieherinnen sind am Limit“ (AZ 22.11.2018) etc. Die Gewerkschaften sekundieren das Dilemma mit der Feststellung, dass bis zum Jahr 2025 über 583.000 Erzieherinnen fehlen sollen.
Nichtdestotrotz baut der Staat unbeirrt deutschlandweit das Betreuungssystem aus, auch bei der betreuungsintensiven Gruppe der Ein- bis Dreijährigen. Wobei eine Lösung des Personalmangels schon deshalb nicht in Sicht ist, weil in den personalintensiven Bereichen ein zunehmender Wettbewerb um jeden arbeitswilligen und einigermaßen fähigen Bewerber herrscht.
Der von der Politik häufig bemühte Ausweg, aus dem osteuropäischen Ausland Fachkräfte importieren zu können, hat sich in den letzten Jahren als Illusion herausgestellt, weil diese Länder ihre wenigen teuer herangebildeten Fachkräfte dringend selbst benötigen und deren Arbeitsmarkt ohnehin ähnlich leergefegt ist wie der unsrige. Nicht zuletzt auch deshalb, weil auch diese Länder an den Folgen stetigen Geburtenmangels leiden. Ganz zu schweigen davon, dass es ethisch kaum vertretbar ist, in Kolonialmanier im Ausland mit besseren deutschen Löhnen Fachpersonal abzuwerben.
Fazit: Eine Politik, die die Zeichen des demografischen Wandels bis heute ignoriert hat, wird auch weiterhin der irrigen Meinung sein, ihr Dienstleistungsangebot unabhängig vom Arbeitsmarkt erweitern zu können. Aber ein leergefegter Arbeitsmarkt wird auch mittels Haushaltserhöhung keine Fachkräfte herbeizaubern. Schon in absehbarer Zeit wird die Politik zuerst die Überlastung eines grenzwertig funktionierenden Sozialsystems, später dessen Versagen zu beklagen haben. Die Leidtragenden sind zuerst die Schwachen, unsere Kinder und die pflegebedürftigen Alten.
Weitere Informationen zur Situation in Deutschlands Kindertagesstätten auch in einem Beitrag des Deutschlandfunks.
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